Betroffene Kinder aktiv in Kinderschutz einbeziehen: Fachtag zur Vorstellung des Kinderschutzprojekts in Münster

Beim Fachtag Kinderschutz stand die Beteiligung von Kindern im Kinderschutz im Fokus. Bei der von Outlaw, dem Institut für soziale Arbeit e.V. (ISA) und dem Jugendamt Münster organisierten Veranstaltung, stellten die Kooperationspartner:innen das gemeinsame Kinderschutzprojekt erstmals öffentlich vor. Das Materialset mit dem Titel „Hier erzählst du. Hier zählst du.“ stieß dabei auf positive Resonanz.

Wie kann Kinderschutz gelingen? Darüber diskutierten 250 Teilnehmende beim Fachtag Kinderschutz „Verständlich, wahrnehmbar und nachvollziehbar – wie kann das gelingen?" in der Stadthalle Münster-Hiltrup am 6. März. Denn: Die Beteiligung von Kindern im Kinderschutz rückt nicht nur aufgrund der gesetzlichen Vorgaben immer stärker in den Blick, sondern vor allem, weil sie für das Gelingen der Hilfeprozesse entscheidend ist. Im Fokus des Fachtages standen daher die Ergebnisse der Zusammenarbeit der Kooperationspartner:innen und die gemeinsam entwickelte Materialien zur Einbeziehung der Kinder in die Arbeit von Jugendämtern und freien Trägern.

Dies wurde schon bei der Begrüßung durch die Leiterin des Jugendamtes Münster, Sabine Trockel, deutlich. Sie unterstrich wie wichtig die Partizipation der Kinder ist. Deshalb sei es auch so wichtig, Materialien und Methoden zu vermitteln, die diese Teilhabe ermöglichen. Dabei machte Sabine Trockel aber auch klar: „Das Materialset ist richtig gut geworden. Aber die Voraussetzungen in den jeweiligen Institutionen müssen stimmen. Sonst bleiben die Materialien eben nur Materialien.“ Auch Judith Haase vom ISA wies in ihrer Begrüßung darauf hin, dass Kinder unbedingt mehr in den Kinderschutz eingebunden werden müssten. Oft blieben diese stattdessen in der Jugendhilfe „unsichtbar“ oder würden als „passive Empfänger von Schutzleistungen“ gesehen.

„Wir müssen mit den Kindern ins Gespräch kommen!“

Im anschließenden Vortrag stellte Professor Dr. Heinz Kindler vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) eindrücklich dar, wie bedeutend die Einbeziehung der Kinder im Kinderschutz ist: „Wir müssen mit den Kindern ins Gespräch kommen. Nur so können wir verhindern, dass sich die Ohnmachtserfahrungen, die sie im häuslichen Umfeld gemacht haben, im Umgang mit dem Jugendamt wiederholen. Wenn die Gespräche mit den Kindern gelingen, bekommen wir außerdem Informationen, die für einen wirksamen Hilfeprozess wichtig sind.“ Kinder hätten oft sehr konkrete Ideen und Vorstellungen über ihre Situation und deren Verbesserung. Diese sollten unbedingt gehört und berücksichtigt werden. „Das bedeutet nicht, dass alles nach den Wünschen der Kinder umgesetzt werden kann. Aber wir müssen ihnen erklären, was passiert und warum es so passiert.“

Fachkräfte seien oft unsicher im Umgang mit Kindern, hätten Sorge, das Kind im Gespräch zu belasten oder etwas falsch zu machen. „Sie sollten aber keine Angst haben, offen mit den Kindern zu sprechen, sondern ihnen stattdessen möglichst viel Raum für das freie Erzählen geben“, so Kindler. Er gab dazu auch einige wertvolle Hinweise für die Gesprächspraxis. So sollten Suggestiv-Fragen, die das Kind in eine vorgegebene Richtung führen, vermieden werden, man solle es nicht unterbrechen oder durch Fragen dazu zwingen, das Erlebte nochmals zu durchleben. Es sei nicht immer leicht, mit Kindern überhaupt ins Gespräch zu kommen. Materialien, wie das von den Kooperationspartnern entwickelte Set könnten hierbei helfen.

„Hier erzählst du. Hier zählst du.“

Im Anschluss stellten die Kooperationspartner:innen den Teilnehmer:innen das Materialset vor, das den Titel „Hier erzählst du. Hier zählst du.“ trägt. Dabei gingen Sandra Krome (Stadt Münster) und Christian Schrapper (ISA) auf die Entstehungsgeschichte des Projekts ein, bevor Nathalie Schütte (Stadt Münster) das Buch, die Sticker und die Kartensets und ihre Einsatzmöglichkeiten darstellte. „In der Praxis haben sich alle Elemente bewährt. Ein absolutes Highlight sind tatsächlich die Sticker, mit denen die Kinder die Pläne und das Buch selbst mitgestalten können.“

Sabine Zimmermann (Grafikerin bei Outlaw) erläuterte den Teilnehmer:innen die besondere Bildsprache, die bei der Gestaltung der Materialien gewählt wurde: „Wir verzichten auf Fotos zugunsten von Illustrationen, denn sie sind Kindern aus allen Lebensbereichen bekannt und sind einerseits klar – andererseits offen für Interpretationen.“ Die Darstellungen seien geprägt von starker Mimik, Gesten, Farben und einer aussagekräftigen Bildaufteilung. „Zudem haben wir bei den Darstellungen der Situationen Tiere statt Personen gewählt, damit die Kinder nicht das Gefühl haben, sie müssten die ‚Täter‘ verraten.“ So böten die Bilder ideale Anknüpfungspunkte für offene Gespräche.

Foren für intensiven Austausch

Am Nachmittag nutzen die Teilnehmer:innen die fünf unterschiedlichen Foren für weitere Informationen und den intensiven Austausch über Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern im Kinderschutz. Dort wurden weitere Partizipations-Konzepte, beziehungsweise Instrumente, welche die Partizipation der Kinder im Kinderschutz erleichtern, erörtert. So wurde „WirkMit! vorgestellt, eine Methode zur Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Familien, aktiv mitzuwirken. In einem weiteren Forum wurde über „Frau Frühling hat 30 Kinder“ gesprochen: ein Bilderbuch, welches das Thema Vormundschaft erklärt. Das von den Outlaw-Mitarbeiterinnen Monika Romer und Nora Schönberg gestaltete Forum "Mein Recht in echt" stellte die praktische Umsetzung von Kinderrechten in den Fokus. "Wir freuen uns, dass neben Jugendamts-Mitarbeiter:innen auch viele Fachkräfte aus Kitas, Schulen, Kliniken sowie anderer Träger der Kinder- und Jugendhilfe dabei waren – die Motivation, Kinder und Jugendliche in Kinderschutzprozessen zu beteiligen, war spürbar“, zieht Monika Romer, Referentin Qualitätsentwicklung bei Outlaw ein positives Fazit. 

Auch das Konzept „Signs of Safety“ wurde in einem Forum präsentiert und diskutiert.

Besonders viele Teilnehmer:innen entscheiden sich für das Forum, in dem Mitarbeiter:innen der Jugendämter, die sich an der zweiten Pilotphase des Kinderschutzprojekts beteiligt hatten, von ihren Erfahrungen mit dem Materialset berichteten. Sie erzählten von Fallbeispielen, in denen die Bildkarten als „Eisbrecher“ im Gespräch mit den Kindern funktionierten, von Situationen, in denen Kinder ihre Gefühle anhand der Bilder ausdrücken konnten oder von Gesprächen, in denen sie gemeinsam mit den Familien mithilfe der Pläne und Sticker einen Weg zur Verbesserung der Situation erarbeitet haben. Ihr Fazit: Die Materialien haben sich in der Praxis vielfältig bewährt, weil sie auf einfache Weise kindgerechte Gesprächssituationen ermöglichen. Das Material überzeugte viele Fachtag-Teilnehmer:innen schnell.

Andererseits bewegte die Fachkräfte die Frage, wie es im eng getakteten Alltag und Prozessen der Jugendämter integriert werden könne. „Meine Kollegen und Kolleginnen werden sagen ‚schon wieder was Neues, das mich Zeit und Mühe kostet“, so ein Teilnehmer. Die Kolleg:innen, die Erfahrungen mit den Materialien sammeln konnten, räumten ein, dass die Leitung hinter dem Konzept stehen müsse, sodass die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden könnten. „Das ist schon eine grundsätzliche Entscheidung, quasi ein echter Paradigmenwechsel“, so einer der Teilnehmer aus der Pilotphase.

Christian Schrapper unterstrich: „Wirken können diese Materialien nur, wenn der ganze Laden dahintersteht und die nötige Zeit eingeräumt wird!“ Das Konzept biete aber auch überzeugende Vorteile für die Arbeit, wie die Mitarbeiterin eines der Jugendämter aus der Pilotphase erklärte: „Der Einsatz der Materialien erleichtert viele Dokumentationsaufgaben, da man beispielsweise die Pläne abfotografieren oder die Gesprächsdokumentation mit Fotos der eingesetzten Bildkarten stützen kann.“ Zudem erleichtere das Material die Wiederaufnahme des Gesprächs bei einem weiteren Termin, weil Kinder sich gut an die Bilder erinnern.

Im Forum äußerten einige Teilnehmer:innen Optimierungsvorschläge für die Materialien. So wurde mehr Diversität für die Darstellungen im Buch gewünscht. Auch eine Version für Kinder mit Behinderungen wurde angeregt. Viel Zustimmung fand die Äußerung einer Teilnehmerin: „Schon jetzt habe ich den Eindruck, dass es mit diesen Materialien viel leichter wird, über schwere Dinge zu sprechen und dass solche Gespräche – gerade in Familiensituationen – weniger konflikthaft werden.“

Wie kann es in der Praxis gelingen?

Im Schlussforum des Fachtags stand die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit von Partizipation im Vordergrund. Die vorgestellten Konzepte und Materialien sind für viele Teilnehmer:innen geeignete Mittel, die notwendige Beteiligung der Kinder umzusetzen. Jetzt komme es darauf an, dieses „Handwerkszeug“ wirkungsvoll in den Arbeitsalltag zu integrieren. Ein Jugendamtsmitarbeiter, der an Erprobungsphase teilgenommen hat, bestärkte die anwesenden Kolleginnen und Kollegen: „Wir haben es in der Hand und können jetzt mithilfe der passenden Materialien dafür sorgen, dass die Kinder besser gehört und einbezogen werden!“ Die Teilnehmer:innen des Fachtags haben gute Voraussetzungen: Sie erhielten alle ein Materialset „Hier erzählst du. Hier zählst du.“, um es in ihren Institutionen vorzustellen, zu erproben und sich im Anschluss in eine Interessentenliste einzutragen.

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